Die Naturwissenschaft - insbesondere die Medizin - betrachtet den Menschen als Forschungsobjekt
vom Zeitpunkt der Zeugung bis zum Ende seiner materiellen Existenz. Dabei reduziert sich der Blick
zumeist auf Teilbereiche seines physischen Seins. Der Mensch wird zerlegt und durch eine Vielzahl von
Technologien und Theorien darstellbar gemacht.
Barbara Kämper hat hier einen Ausgangspunkt gefunden. Der Mensch als Mikrokosmos:
Zelle und Chromosomen, größtmögliche Auflösung. Der Röntgenaparat,
das Endoskop, das chirurgische Besteck - der Blick unter die Haut ist hier keine poetische Metapher.
Kämpers Bilder sind nicht wissenschaftlich präzise, sondern bewegen sich zwischen
Imagination und Erfahrung. Es handelt sich um Ereignisbilder, die die Anwendung wissenschaftlicher
Erkenntnisse am menschlichen Körper beschreiben. Die Operation am Knie: drei Röhren
starren aus einem ballonartig aufgeblasenem Gebilde. Das verschönernde Augenlifting -
im nachoperativen Zustand ist das empfindliche Sehorgan zur Unkenntlichkeit entstellt.
Unter dem Arbeitstitel "Verletzungen" entstanden Bilder, die Eingriffe am Menschen thematisieren.
Als "Eingriff" ist nicht nur der medizinisch operative Vorgang zu verstehen. Der Themenbereich umfaßt
auch die kaum wahrnehmbaren Formen von Verletzungen, die im Zusammenhang mit der fortschreitenden
Genforschung zu erkennen sind.
Die Frage nach der Berechtigung zu solchen Interventionrn stellt Kämper nicht nur denen,
die diese Eingriffe vornehmen, sondern auch dem Menschen, der diese an sich gestattet. Anlaß zu diesen
Bildern sind Erfahrungen, die Barbara Kämper als Krankenschwester sammelt. Die Wirklichkeit
der Krankenhauswelt, in der die Verletzung alltäglich ist, erfährt ihre Aneignung im
künstlerischen Prozeß. Dazu entwickelt Kämper eine Bildsprache, die das Gesehene auf das
Charakteristische reduziert. Komplexe organische Strukturen werden auf eine bezeichnende Form vereinfacht.
Balkenartige Striche in kräftiger Farbigkeit stehen in Kontrast mit darunter liegenden diffusen organisch
wirkenden Flächen.
Kämper vermeidet harmonische Bildkompositionen. Sie inszeniert aggressive Gegensätze
im Spannungsfeld von Faszination und Erschrecken.
Brigitte Dierker